Spirituelle Arbeit mit unseren Gefühlen

Manas, Mantra und Mandala

Vielleicht fragen wir uns manchmal, warum wir in bestimmten Situationen emotionaler reagieren, als erwartet und in anderen Situationen wiederum unerwartet unberührt bleiben?

Der menschliche Organismus besteht nach indischen Lehren aus fünf Energie-Schichten. Die Manomaya-Kosha ist die mittlere dieser und Ihr Zentrum ist unser Manas, was man in etwa mit “Herz-Bewusstsein” übersetzen könnte und dessen Zentrum in unserem Herz-Bereich zu orten ist. In Indien, aber auch in China und Japan sieht man das Herz nicht einfach als den Sitz unserer Emotionen an, sondern als eine eigene Art die Dinge um uns herum wahrzunehmen – es ist das Herz-Bewusstsein. Wenn seine Energie nicht ausgeglichen ist, dann nehmen wir immer wieder an der Achterbahn-Fahrt unserer Gefühle teil und tun manchmal Dinge, die wir später bereuen. Dabei ist auch die spätere Reue Teil, der selben Achterbahn-Fahrt.

Foto: Tsunami Green – Unsplash

Das erste und wichtigste, das wir tun können, um unser Manas in Harmonie zu bringen, ist in unserer Seele “stehen zu bleiben”. Also uns nicht von unseren Emotionen mitnehmen zu lassen, sondern im Geiste anzuhalten und in uns hinein zu fühlen. Wie fühlt sich diese oder jene Emotion für mich genau an? Was erzählt sie mir und zu welcher Tat möchte sie mich bewegen? Wir trauen uns also, unsere eigenen Gefühle zu hinterfragen und unter Umständen auch nicht sofort so zu reagieren, wie sie es von uns fordern. Dies ist manchmal eine Herausforderung, denn meist fühlen wir uns nahezu verpflichtet, das zu tun, was uns unsere Gefühle diktieren. Wir meinen eins zu sein mit unseren Gefühlen. Auf dem Weg der Bewusstwerdung merken wir jedoch, dass unsere Gefühle nicht “diktieren”, sondern eigentlich nur mit uns sprechen möchten. Wenn wir lernen unseren Emotionen zuerst einmal zuzuhören, dann haben wir schon den ersten und wichtigsten Schritt zu einem bewussteren und damit ausgeglichenem Leben getan.

Hilfreich kann uns dabei auch die Arbeit mit unseren Atem sein. Unser Atem ist der Urrhythmus des Lebens. Durch ihn verbinden wir uns mit der Quelle des Seins. Wenn uns also das nächste Mal unsere Gefühle zu Überrenen scheinen, dann machen wir doch diese kleine Übung:

Halten wir für einen Augenblick da an, wo wir gerade sind, egal, was wir gerade tun. So liefern wir keine weitere Energie mehr zu unseren Muskeln, Gedanken und Gefühlen. Dann beginnen wir unseren Atem zu zählen und tauchen dabei ganz in dessen einfache Stille ein. Wenn wir bis Zehn gezählt haben, beginnen wir wieder bei Eins. In diesem “Raum”, den wir nun in unserem Inneren eröffnet haben, betrachten wir unsere gegenwärtigen Gefühle und fragen uns, was sie uns nun genau zeigen möchten? Was erzählen sie mir und wohin möchten sie mich hinführen? – Jede Emotion hat einen wahren Kern. Sie zeigt mir einen kleinen Teil meiner Selbst. Ihre zerstörerische Kraft erhält sie dadurch, das sich auf diesem Kern viele andere Assoziationen und Überzeugungen ablagern, die dort gar nicht hin gehören. In der Stille unseres inneren Raumes haben wir nun die Gelegenheit diese Emotion genau zu prüfen und sie von unnötigem Ballast zu befreien, welchen in erster Linie unser Ego und unsere Ängste auf diesen Kern aufgeladen haben.

Kosmisches Mandala – Punakha Dzong, Bhutan,
Foto: Attila Budai

Die indischen Wörter Mantra und Mandala sind auch aus Manas abgeleitet.

Mantras sind Spruchformeln, die wir uns in Versenkung wiederholt aufsagen. Diese können unser Herz-Bewusstsein sehr kraftvoll in die Mitte bringen.

Das Wort Mantra ist eine Wortzusammensetzung aus “Manas” und “Trayate”. “Manas” weist auf unser von Gefühlen gesteuertes Denken und Empfinden. Damit wird auch auf die schöpferische und sprunghafte Natur unseres Geistes hingewiesen. “Trayate” bedeutet verdreifachen. Gemeint ist damit, dass etwas alle drei Ebenen unseres Seins berührt: Körper, Geist und Seele. Deswegen wird das Wort “Trayate” im Sanskrit auch gleichbedeutend mit “Reinigung” oder “Werkzeug” verwendet. Man könnte also das Wort Mantra in etwa übersetzen mit: “Reinigung auf allen Drei Ebenen (Körper-Geist-Seele) durch wiederholtes Eintauchen in unser Herz-Bewusstsein”. Ein elegant kurzes Wort mit tiefgreifender Bedeutung.

Ein Mandala wiederum ist wortwörtlich ein “Kreis des Herz-Bewusstseins”, also etwa eine Landkarte der Seele. Allein durch das Betrachten dieser Bilder spüren wir oft, wie unser Herz in die Mitte gelangt.

Je mehr wir es schaffen unser Herz-Bewusstsein von unnötigem Ballast zu befreien, desto mutiger können wir uns diesem anvertrauen und so immer mehr aus unserem Herzen leben. Ein erfülltes Leben, ist ein aus dem Herzen gelebtes leben. Keine emotionale Achterbahn-Fahrt, sondern ein steter Strom einer stillen und einfachen Liebe, die zu allem hin fließt.

Erschienen im Magazin Pulsar, Ausgabe 2022 – Juli-August, Coverfoto: Henning Witzel – Unsplash