Frieden finden in der Leere des Seins

Wer um das Warum seines Lebens weiß, kann fast jedes Wie ertragen.

Friedrich Nietzsche und später Viktor Frankl haben diesen Gedanken geprägt und beide haben verstanden, wie wichtig es für den Menschen ist, zu wissen, warum er hier auf Erden ist. Wahren Seelenfrieden finden wir, wenn wir zu der tief in uns verwurzelten Ursache vordringen, welche uns auf diese Erde gebracht hat. Doch wie können wir diese Wurzeln finden?

Wir können bis zu 70.000 Gedanken an einem einzigen Tag haben. Doch was uns oft nicht bewusst ist: ein guter Teil dieser Gedanken ist mit dem Thema der Selbst-Optimierung beschäftigt. Wenn ich zum Beispiel gestern an einer bestimmten Stelle mein Auto geparkt habe und mir das gestern nicht ganz so gut gelang, so mühe ich mich heute automatisch, dies besser zu machen. Meine Gedanken kreisen vor und während dem Parken darum, wie ich es nun besser machen könnte. So drehen sich viele unserer Gedanken um die Frage, wie wir unser ganzes Leben verbessern können. Unser Ziel: Wir möchten glücklich sein. Das Glück ist unser wahres Zuhause. Sind wir unglücklich, sehnen wir uns nach Veränderung. Sind wir glücklich, möchten wir, dass alles so bleibt, wie es ist.

Im Laufe unseres Lebens merken wir nach und nach immer mehr, dass es nicht ausreicht, alles in unserem Leben zu optimieren, was für das Auge sichtbar ist. Dass es eben auch Themen in unserem Leben gibt, die immer wieder auftauchen und uns unglücklich machen, obwohl wir doch scheinbar für alles in unserem Leben gesorgt haben. Dies ist der Punkt, an dem die Spiritualität in unserem Leben in Erscheinung tritt und wir uns beginnnen zu fragen: Warum bin ich hier? Welchen Zweck hat das ständige Optimieren, die andauernde Jagd nach dem manchmal so vergänglichen Glück? Welches Ziel verfolgt letztlich mein Leben und das aller meiner Mitmenschen?

Dies ist keine einfache Frage und wir mühen uns, diese Frage auf alle möglichen Arten zu beantworten. Manche Antworten mögen uns über kurz oder lang Ruhe finden lassen, doch irgendwann, meist in der Mitte unseres Lebens, kann uns diese Frage in eine tiefe innere Krise führen. Vielleicht sagen wir uns, wenn einst niemand mehr auf der Welt Hunger leiden muss, es keine Kriege mehr gibt und wir es schaffen, gemeinsam mit unseren Mitmenschen alles Leid auf der Erde zu tilgen, dass wir dann als Menschheit das Ziel unseres Seins erreicht haben. Doch wie lange wird es dauern, bis wir das erreicht haben? Können wir das je erreichen? Und kann es uns letztlich glücklich machen, am Heil der Welt zu arbeiten?

Foto: Atul Pandey – Unsplash

Halten wir einen Augenblick inne und mühen wir uns, für einige Augenblicke die Welt so zu sehen, wie sie ist. Bleiben wir so neutral wie möglich. So können wir beobachten, wie alle Lebewesen dieser Welt ihrem eigenen Ziel, ihrem eigenen Sinn folgen. Dieser Sinn ist in jedem Wesen einem steten Wandel unterworfen, von Augenblick zu Augenblick ändert er sich immer ein wenig, so auch in uns. Auch Alles, was uns umgibt, scheint seinen Sinn in dem ihm innewohnenden Nutzen zu haben. Doch wenn wir genau hinsehen, merken wir, dass alles in der Welt im wahrsten Sinne des Wortes sinnlos ist. Nichts in der Welt hat einen Sinn für sich. Wir Menschen haben die Gewohnheit, alles mit einem Sinn zu versehen. Und halten dann Aussagen hoch, wie “Das Ziel der Menschheit ist die Evolution!” oder “Das goldene Zeitalter naht!”, aber diese Aussagen sind nichts Anderes als allzu menschliche Spielereien, die die wahre Begegnung mit uns selbst hinauszögern.

Diese Begegnung ist nur dann möglich, wenn wir akzeptieren, dass nichts in der Welt einen letzten Sinn hat. Diese Erkenntnis mag uns auf den ersten Blick erschrecken. Dies ist der Horror Vacui, die Angst vor der Erkenntnis, dass alles in diesem Sein leer ist.

Doch wenn wir mutig genug sind, um trotz unserer Angst hinzusehen, merken wir, dass diese Leere gar nicht erschreckend sein muss. Im Gegenteil, sie kann unendlich befreiend sein. Denn es gibt nichts in unserem Leben, das wir unbedingt tun müssen. Natürlich hat jede unserer Taten, jede Entscheidung Konsequenzen. Aber unsere Entscheidung ist frei und wenn wir genauer darüber nachdenken, können wir erkennen, dass wir eigentlich immer aus Freiheit entschieden haben. Nachträglich gesehen mögen wir schlechte Entscheidungen gefällt haben. Nachträglich gesehen mögen wir besser die eingrenzenden Überzeugungen in uns sehen, die uns zur einen oder anderen Entscheidung geführt haben. Aber letztlich passierte alles aus der unendlichen Freiheit unserer Seele.

Foto: Chuttersnap – Unsplash

Beobachten wir, wie die Wolken über den Himmel wandern und dabei nie einen Fehler machen. Nur wir Menschen denken, dass wir Fehler machen können. Wolken, Steine, Pflanzen oder Tiere haben vermutlich nie das Gefühl, dass sie Dinge hätten anders machen können, als sie es getan haben, selbst wenn die Ergebnisse ihrer Handlungen nicht ihren Erwartungen entsprachen.

Wenn wir mutig genug sind, um in dieser Leere unseres Seins anzukommen, dann fallen meist viele Gewohnheiten von uns ab, die uns bisher eingeengt haben. Tag für Tag werden wir mit leichterem Fuß über die Erde gehen und Zweifel werden uns immer weniger plagen. So kann die einfache Liebe zu allem im Leben und zu allen Wesen auf der Erde in uns zu erwachen beginnen. Ein neuer Lebens-Sinn stiftet sich in uns. Jedoch einer, der nicht mehr auf einem Gedanken-Konzept basiert, sondern unserem freien und liebenden Wesen entspringt. Dies ist der einzige Ort, wo wir in den wahren Frieden unserer Seele eintauchen können.

Eine kleine Übung: Gehe in Dich und kehre in Deine eigene Stille ein. Wenn Du dort angekommen bist, stelle Dir vor, wie sich der letzte Augenblick Deines Lebens anfühlen würde. Was wäre, wenn Du am Ende Deines Lebens plötzlich entdeckst, dass all die Menschen, all die Begegnungen Deines Lebens sich bloß in Deiner Einbildung abgespielt haben? Wenn Du plötzlich entdeckst, dass all der Schmerz, den Du empfandest, letztlich nur für dich präsent und die Welt um Dich herum nichts weiter als ein flüchtiger Traum war? Was hättest Du auch dann getan und nicht bereut, wenn Dein gesamtes Leben eine Illusion gewesen wäre und nichts weiter als ein vergänglicher Traum in dem größeren Traum des Universums? Was sind die Taten, die Dir in der Tiefe Deines Herzens Freude bereiten, ohne dass Du ihnen einen Sinn gibst?

Was Du hier findest, ist das Verständnis Deiner Seele. Trage es die nächsten Tage mit Dir, lass es auf Dich wirken und prüfe dann, ob sich etwas verändert hat. Wenn es Dir gelingt zu verstehen, wonach sich Deine Seele sehnt, so kannst Du jeden Tag mit Dir selbst in Frieden leben.

Erschienen im Magazin Pulsar, Ausgabe 2023 – Januar, Coverfoto: Zoltán Tasi – Unsplash

Träumender Buddha, vor dem Eintritt ins Nirvana,
Miyajima, Japan – Foto: Attila Budai